IDEENFRAGMENTE ROBERT SCHAD

Begonnen hat die Realisierung derartiger Projekte 2011 in Oberschwaben, meiner Heimat, auf dem Marktplatz von Altshausen vor dem Schloss und heutigen Wohnsitz des Herzogs von Württemberg mit gerade mal fünf Skulpturen. Diese Ausstellung wanderte dann in den folgenden Jahren, immer wieder angereichert mit neuen Skulpturen, nach Heidelberg, Linz in Österreich, nach Pergine/ Valsugana in Italien, nach Frankfurt, in die Bretagne, nach Portugal, 2018 dann als binationale Ausstellung nach Metz und Saarlouis und 2019 nach Oberschwaben. 2020 verteilte sich die Ausstellung, die mittlerweile fast 60 Skulpturen umfasste auf die deutschen Städte Bremen und Lahr, sowie auf den Park des Schlosses Moyland, das die Josef Beuys Sammlung der Brüder van der Grinten beherbergt.

Die Region. Hier lebe und arbeite ich im Departement Haute-Saône seit 1994. Mit dem Skulpturenprojekt verfolge ich einen ganz egoistischen Grund: Ich möchte die Region über meine Skulpturen profund kennenlernen und möglichst vielfältige Erfahrungen machen. Ich will über meine Skulpturen Menschen und Orten begegnen, die ich bisher noch nicht kannte. Der Skulpturenparcours bereichert somit mein Bild, das ich von der Region Bourgogne-Franche-Comté habe und führt mich und den Betrachter zu Orten, die ich für die Region kennzeichnend und charakteristisch halte. Das heisst, dass ich nicht nur meine Skulpturen an den jeweiligen Orten präsentiere, sondern auch Blicke und Perspektiven auf die Region eröffne, wie es nur über die Skulptur möglich ist und so die landschaftliche, geschichtliche, architektonische und kulturelle Besonderheiten dem Betrachter vermittle.
Alles zusammen ergibt ein Mosaik, das zu einem neuen Blick auf die Region animieren soll.
So ist das Ausstellungsprojekt nicht nur eine Ausstellung meiner Skulpturen in einer bestimmten Region, sondern auch (im Gegenzug) ein Hinweis auf markante Orte der Region durch die Präsenz meiner Skulpturen.

Mon empreinte. Au long de ces parcours reliés par un fil rouge, je passe par des lieux qui comptent pour moi et j’y pose une sculpture.
La ligne rouge est faite d’un seul matériau, un acier carré massif de section 10 x 10 cm. Elle relie tous ces lieux entre eux.
Cette connexion mentale entre les sculptures et leurs emplacements respectifs entraîne le spectateur vers d’autres lieux, vers d’autres sculptures.
Ainsi, j’ai l’impression que mes sculptures sont des êtres personnifiés, mes représentants, guidant mes promenades dans ce beau pays, pour un temps limité, avant qu’elles ne repartent vers une prochaine exposition où elles Mein Anliegen. Mein Skulpturenparcours zieht sich wie ein roter Faden durch den Bourgogne und die Franche-Comté. Dort, wo sich der Faden zur Skulptur verdichtet, will ich auf Orte hinweisen, die mir wichtig sind. Diese rote Linie besteht immer aus demselben Material, dem massiven Vierkantstahl mit einer konstanten Kantenlänge von 100 mm. Er ist im Prinzip der Leitfaden, der die Skulpturenstandorte, zusammennäht‘ und miteinander in Verbindung bringt. Diese mentale Verbindung zwischen den Skulpturen und den jeweiligen Standorten leitet den Betrachter an, auch die anderen Orte und Skulpturen am jeweiligen Standort mitzuempfinden. Ich habe den Eindruck, dass meine Skulpturen personifizierte Wesen aus Stahl sind, meine Stellvertreter, die ich geschaffen habe, um auf Zeit dieses schöne Land zu besuchen und zu bespielen, und dann wieder weiterzuziehen zur nächsten Ausstellung, um dort erneut ihr choreografisches Spiel zu entwickeln. Dabei trägt jede Skulptur, die sich auf diese Reise begeben hat, ihr ganz spezifisches Gedächtnis an die vorherigen Orte in sich, das dich demjenigen vermittelt, der der Skulptur bereits anderswo begegnet ist.

Kunst Für Alle. Vor der Kunst sind alle Menschen gleich. Kunst gehört jedem: Arm und Reich, Jung und Alt, Stadt und Land. Ich möchte auch dem Kunstunkundigen die zeitgenössische Kunst nahebringen. Ich glaube, dass durch die Haptik des Materials Stahl Menschen, die über ihre Sinne die Dinge begreifen, sich an die Skulpturen heranführen lassen. Gerade in unserer Zeit der digitalen und virtuellen Welt hat dieses Material Stahl seine Wirkung noch lange nicht verloren.

Der Stahl. Stahl ist bei mir die Achse, um die sich alles dreht. Er ist das Material, das seit dem 19. Jahrhundert Fortschritt und Wohl-
stand befördert hat, heute aber zunehmend durch leistungsstärkere Werkstoffe abgelöst wird.
Eisen wird durch Menschenkraft der Erde in Form von Erz entnommen, durch Kochen von der Schlacke getrennt. Durch Hinzufügen von anderen Metallen und Sauerstoff entsteht Stahl, der Werkstoff der der sich biegen, formen, schmieden und giessen lässt und wie kein anderer, das 19. und 20. Jahrhundert geprägt hat.
Ohne ihn hätten die Architekten und Konstrukteure des ausgehenden 18. Jahrhunderts nie geschafft, höher zu bauen, als die Baumeister der gotischen Kathedralen. Ohne ihn gäbe es keine Waffen und Maschinen. Ohne ihn wäre die heutige Welt eine andere. Ich will den Stahl aus der dienenden Funktion des belastbaren Werkstoffs zur Natur und zum Menschen zurückführen. So greifen meine Skulpturen Formen auf, die mit Wachstum und Körperlichkeit des Menschen zu tun haben. Meine Skulpturen scheinen in Bewegung zu sein, obwohl sie starr sind, Bewegung, die im Moment des Betrachtens innezuhalten scheint. Sie erscheinen tänzerisch leicht, obwohl sie tonnenschwer sind. Sie sind wie reiner Stahlbau konstruiert, aber sie vermitteln das Gefühl von innen heraus angetriebenem vegetativem Wachstum, vom Ranken im Raum. Mir ist es sehr wichtig, dass sich scheinbare Unvereinbarkeit unterschiedlicher Dinge auflöst in einer Form, in der die Überwindung von Gegensätzen ablesbar ist.

Die Linie. Die Linie ist wohl das elementarste Ausdrucksmittel des Menschen überhaupt. Kinder zeichnen, bevor sie plastisch arbeiten. Mit der Linie beschreiben wir den Weg von hier nach dort, unterzeichnen Briefe und geben unseren Emotionen Ausdruck. Meine Linien, meine skulpturale Auffassung und mein skulpturales Denken, bewegen sich zwischen dem Punkt, dereiner Fläche, mit dem Lineal gezogen oder mit geschlossenen Augen aleatorisch zu Papier gebracht, auf sich selbst konzentriert, nach außen schießend, in den Raum greifend oder den Raum umgreifend. So sind meine Skulpturen weniger über formale Kriterien zu verstehen als über die Art, was die Linie mit dem Raum und in ihm macht.

Der Tanz. Die menschlichen Gliedmaßen bilden, genau betrachtet, eine Addition gerader Teilstücke, der Knochen, an deren Kontakt-
stellen sich die Gelenke befinden, über die Bewegung möglich wird. Tanz ist gestaltete Bewegung im Raum. Wie der Tänzer den Raum einnimmt, ›betanzen‹ meine Skulpturen die jeweiligen Orte. Aus einer von mir entwickelten ›stählernen Choreografie‹ heraus werden die bespielten Orte zu Bühnen der unterschiedlichsten Emotionen, die sich dem Betrachter vermitteln. Dabei sollen meine Skulpturen zu vielfältigen Assoziationen verleiten, die unabhängig von Moden und Zeitgeist den Betrachter zum Denken anregen sollen und existenzielle Fragen stellen, wie die nur über die Sprache der Skulptur gestellt werden können und die auch relevant sein werden, solange es Menschen gibt. Dies verleiht ihnen, im Zusammenspiel mit deren elementarer Materialität eine Zeitlosigkeit.

Das Projekt. Eine entscheidende Hilfe bei der Realisierung des Projekts ‚DIX PAR DIX – ein Skulpturenparcous in der Region Bourgogne-Franche-Comté‘ ist die Zusammenarbeit mit dem Galeristen und Kurator des Projekts Jean Greset aus Etuz, mit dem ich seit Jahren zusammenarbeite, der Grafikerin Rachel Jacquard, die die Kommunikationarbeit übernommen hat und dem Centre d’Art Mobile Besançon.
Heute lebe und arbeite ich in Frankreich und Portugal. Mir ist der europäische Gedanke wichtig. Ich glaube an Europa, was schon dadurch belegt ist, dass ich als gebürtiger Süddeutscher heute in der Bourgogne-Franche-Comté und in Portugal lebe.
Ich denke, dass dieses Projekt das letzte in der Art sein wird. Ich will mich künftig wieder mehr der Formforschung widmen, um meinen künstlerischen Horizont zu erweitern.

Robert Schad